Worum geht's?
Produkte im stationären Handel, Online-Bestellungen, digitale Güter und Maßanfertigungen: Je nachdem, was Verbraucher kaufen, müssen Händler ihnen gemäß dem BGB andere Widerrufsrechte gewähren. Bei Maßanfertigungen gilt grundsätzlich: Verbraucher können Ware, die sie individuell anfertigen lassen, nicht zurückgeben. Was ist aber, wenn sie ihre Bestellung noch vor Produktionsbeginn stornieren? Wir zeigen, wann Sie als Händler Ihren Kunden ein Widerrufsrecht nach dem BGB gewähren müssen – und wie der EuGH über das Widerrufsrecht bei einer Maßanfertigung entschieden hat.
1. Widerrufsrecht im stationären Handel
Stationäre Händler sind nicht verpflichtet, Ware nach dem Verkauf zurückzunehmen oder umzutauschen. Für die Praxis heißt das: Haben Sie als Händler ein Produkt an einen Verbraucher verkauft, beispielsweise ein neues Smartphone oder ein gebrauchtes Sofa, muss dieser die Ware behalten.
Sie können Ihren Kunden jedoch freiwillig das Recht einräumen, Artikel in einem bestimmten Zeitraum zurückgeben zu können. Sie weichen auf diese Weise von den gesetzlichen Vorgaben ab. Das bedeutet: Sie können das „Mehr“ an Verbraucherrechten frei gestalten.
Wollen Unternehmer Ihren Kunden eine Form von Rückgabe- oder Umtauschrecht gewähren, müssen Sie dies in Ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) regeln.
- worauf sich das Rückgabe- oder Umtauschrecht bezieht (ganzes Sortiment, einzelne Warengruppen oder Produkte),
- in welchen Fristen Kunden das Recht ausüben können,
- wann die Frist beginnt,
- ob Kunden einen Kaufnachweis erbringen müssen,
- wie der Zustand der Ware und der Verpackung aussehen muss,
- wo Verbraucher ein Produkt umtauschen oder zurückgeben können (alle oder nur bestimmte Filialen oder auf dem Versandweg),
- ob Verbraucher bei einer Rückgabe den Kaufpreis oder einen Gutschein erhalten und
- ob ein Umtauschrecht nur für identische Produkte, Produkte aus der gleichen Kategorie oder das ganze Sortiment gilt.
Rechtssichere AGB sind das A und O eines erfolgreichen Business. Auch wenn es keine Pflicht gibt, AGB zu verwenden, sollte kein Online-Shop auf Ihre Einbindung verzichten. Denn in diesen können Sie Ihre Informationspflichten erfüllen und teure Abmahnungen vermeiden. Sie sind noch auf der Suche nach passenden AGB für Ihren Online-Shop? Im Shop Tarif für Händler stehen Ihnen Generatoren, Muster und Verträge zur Verfügung.
2. Widerrufsrecht im Online-Handel
Kaufen Verbraucher Ware online, steht ihnen nach § 312 g BGB ein fernabsatzrechtliches Widerrufsrecht zu. Innerhalb einer Frist von 14 Tagen können sie von diesem Recht Gebrauch machen. Als Händler müssen Sie den Verbraucher vor dem Kauf über sein Widerrufsrecht belehren und ein Muster Widerrufsformular zur Verfügung stellen.
Sie haben keine Widerrufsbelehrung in Ihrem Online-Shop oder sind sich unsicher, ob diese noch den aktuellen Vorgaben entspricht? Im eRecht24 Premium Shop Tarif Basic ist eine rechtssichere Widerrufsbelehrung enthalten.
Die Widerrufsfrist beginnt erst mit Lieferung der Ware und ordnungsgemäßer Belehrung zu laufen. Unterbleibt die Belehrung, so beginnt die Frist nicht zu laufen und das Recht zum Widerruf erlischt spätestens nach 12 Monaten und 14 Tagen.
GUT ZU WISSEN
Käufer müssen keine Gründe angeben, warum sie ein Produkt zurückgeben möchten. Sie müssen den Widerruf jedoch ausdrücklich und eindeutig erklären.
In bestimmten Fällen besteht für Händler eine Möglichkeit zum Ausschluss des Widerrufsrechts. Das ist zum Beispiel bei versiegelten Produkten und Artikeln, die aufgrund der Hygiene nicht zurückgegeben werden können, der Fall.
Bei digitalen Gütern wie Software, Apps, Musikstreaming, Online-Spielen und E-Books gilt grundsätzlich das Widerrufsrecht für Online-Käufe. Die Frist beginnt dabei jedoch nicht erst mit der Lieferung der Ware. Sie beginnt bereits mit Vertragsschluss – also mit dem Auslösen der Bestellung.
Bei digitalen Produkten kann das Widerrufsrecht unter bestimmten Voraussetzungen erlöschen, sobald mit der Vertragserfüllung begonnen wird. Als Online-Shop Betreiber benötigen Sie die Zustimmung des Kunden für den Beginn der Vertragserfüllung vor Ablauf der Widerrufsfrist. Weiterhin muss der Kunde seine Kenntnis über das Erlöschen des Rechts bestätigen.
PRAXIS-TIPP
Händler nutzen für die Zustimmung und Bestätigung der Kenntnis in der Regel eine Opt-in-Box, die Kunden per Klick bestätigen müssen.
3. Widerrufsrecht bei Vorbestellung von Nintendo-Spielen
Das OLG Frankfurt hat am 28.10.2021 (Az. 6 U 275/19)ein Urteil des Landgerichts Frankfurt abgeändert und entschieden, dass Verbraucher ihr Widerrufsrecht auch ausüben können, wenn sie Spiele für die Nintendo-Konsole Switch rein digital kaufen, aber das Spiel nach dem Download nicht direkt nutzen können.
In dem vor dem LG Frankfurt zu entscheidenden Fall konnten Kunden ein Spiel vorbestellen und bereits herunterladen. Sie konnten das Spiel jedoch erst ab dem Erscheinungsdatum spielen, da es sich um eine Vorbestellung handelte.
Nintendo ließ die Kunden per Opt-in-Kästchen bestätigen, dass mit der Vertragsausführung vor Ablauf der Widerrufsfrist begonnen werden sollte und die Kunden die Zustimmung in Kenntnis über das Erlöschen des Widerrufsrecht erteilt haben.
Für die Praxis hieß das: Kunden konnten das vorbestellte Spiel nicht widerrufen und sich nicht nachträglich vom Vertrag lösen. Der Verbraucherzentrale Bundesverband und norwegische Verbraucherschützer stuften dies als rechtswidrig ein. Das LG Frankfurt hielt das Vorgehen für rechtmäßig, da der Vertrag mit Abschluss der Vorbestellung erfüllt sei.
Das OLG Frankfurt änderte die Entscheidung daraufhin zugunsten der Verbraucherschützer ab und verurteilte Nintendo zur Unterlassung.
4. EuGH zum Widerrufsrecht bei einer Maßanfertigung
Der EuGH hatte 2020 über das Bestehen eines Widerrufsrechts bei einer Sonderanfertigung zu entscheiden. In dem Fall ging es um die Bestellung einer maßgeschneiderten Einbauküche.
Eine Verbraucherin hatte den Kaufvertrag bei einem Aussteller auf einer Landwirtschaftsmesse abgeschlossen. Damit galt ein 14-tägiges Widerrufsrecht gemäß § 312 g BGB ("außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge"), denn Sie hatte den Vertrag außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmens geschlossen.
Das Unternehmen musste einzelne Teile der Küche bei einem Zulieferer bestellen. Die Küche sollte dann vor Ort nach den Wünschen der Kundin als Sonderanfertigung auf Maß angefertigt werden. Bevor der Möbelhändler damit begonnen hatte, erklärte die Kundin den Widerruf. Das wollte der Händler nicht hinnehmen. Er klagte auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung des Kaufvertrags.
Das Amtsgericht (AG) Potsdam stellte fest: Der Zulieferer hatte noch nicht begonnen, die Bauteile für die Küche herzustellen, als die Kundin den Kaufvertrag widerrief. Zudem würde die individuelle Auswahl oder Bestimmung nach den Wünschen der Kunden erst im Haus der Kundin erfolgen. Selbst wenn der Möbelhändler die Teile bereits zusammengebaut hätte, hätte er diese ohne großen Aufwand wieder abbauen können.
Die Richter gingen davon aus, dass der finanzielle Schaden in so einem Fall nur rund 5 Prozent des gesamten Warenwertes betragen hätte. Um seine Einschätzung abzusichern, wandte sich das AG Potsdam an den EuGH.
Der EuGH kam zu dem Ergebnis: Die Kundin hat kein Widerrufsrecht bei einer Maßanfertigung – trotz der Tatsache, dass sie ihren Widerruf so früh erklärt hatte. Denn: Ein Widerruf ist grundsätzlich für alle Käufe von Maßanfertigungen ausgeschlossen – unabhängig vom Herstellungsbeginn.
Unternehmen müssen Kunden daher immer ausdrücklich darauf hinweisen. Der EuGH verwies darauf, dass es unpraktikabel wäre, ein Rücktrittsrecht an den Herstellungsbeginn zu knüpfen. In der Regel informieren Händler ihre Kunden nicht über die einzelnen Schritte des Herstellungsprozesses (Urteil vom 21.10.2020, Az. C-529/19).
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Mehr Informationen zum Thema Widerrufsrecht finden Sie in unserem Beitrag “Widerrufsrecht im Überblick: Wichtige Änderungen in Widerrufsbelehrung & Co. für Onlineshops”.
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