Worum geht's?
Dank „Widerrufsjoker“ lassen sich viele Verbraucherkredite widerrufen – und das auch noch Jahre nach Vertragsabschluss. Greift das ewige Widerrufsrecht, sparen Sie oftmals viel Geld, müssen keine teure Vorfälligkeitsentschädigung zahlen und haben die Möglichkeit, Kredite mit hohen Zinsen zu preiswerteren Konditionen umzuschichten. Wie Sie aus Ihrem Kreditvertrag wieder rauskommen, welche Rechte und Pflichten Sie haben und in welchen Fällen ein Widerruf möglich ist, erfahren Sie in diesem Beitrag.
1. Kreditvertrag: Wie komme ich da wieder raus?
Ein Kreditantrag wird in der Regel bei der Bank gestellt. Stimmt diese dem Kredit zu, steht dem Kreditvertrag nichts mehr im Wege. Kreditverträge werden in den meisten Fällen über eine feste Laufzeit geschlossen. Im Rahmen dieser Laufzeit (etwa fünf oder zehn Jahre) vereinbart die Bank mit dem Kreditnehmer einen festen Zinssatz. Dadurch hat der Kreditnehmer die Gewissheit, dass die Zinsen während der Laufzeit nicht steigen.
Insbesondere bei Baufinanzierungen ist die Kreditsumme nach fünf oder zehn Jahren noch nicht abbezahlt. Der Betrag, der nach der Laufzeit übrigbleibt, ist die sogenannte Restschuld. Am Ende der Laufzeit ist die Restschuld an den Kreditgeber zurückzuzahlen.
Wer aus seinem Kreditvertrag herauswill, hat verschiedene Möglichkeiten:
- Ablöse: Sie können das Darlehen ablösen und die Restschuld auf einmal an die Bank zurückzahlen, um aus dem Kreditvertrag herauszukommen.
- Anschlussfinanzierung: Sie schließen eine Anschlussfinanzierung bei der gleichen Bank für die Restsumme des alten Kredits ab (möglichst zu günstigeren Zinsen als der ursprüngliche Kredit).
- Umschuldungskredit: Sie nehmen einen Umschuldungskredit bei einer anderen Bank auf, um den Kredit abzulösen und von günstigeren Marktzinsen zu profitieren.
Insbesondere bei teuren Baufinanzierungen ist es den meisten Kreditnehmern nicht möglich, das Darlehen abzulösen und die Restsumme auf einen Schlag an die Bank zurückzuzahlen. Wer sich für eine Anschlussfinanzierung bei der eigenen Bank entscheidet, muss den alten Kredit nicht kündigen, da dieser mit Ende der Zinsbindung ausläuft. Laufzeit und Zinssätze für den Anschlusskredit müssen neu verhandelt werden.
Wer einen Umschuldungskredit aufnehmen möchte, um von günstigeren Zinsen zu profitieren, ist auf die Zustimmung seiner Bank angewiesen – zumindest dann, wenn es sich um einen Immobilienkreditvertrag handelt und dieser vor Ablauf der ersten zehn Jahre umgeschuldet werden soll. Die Bank macht ihr Zustimmung in der Regel von der Vorfälligkeitsentschädigung abhängig – und die kann schnell einige zehntausend Euro betragen.
2. Kann ich den Kredit nicht einfach kündigen?
Ja, grundsätzlich können Sie einen Verbraucherkredit kündigen. Die Kündigungsfrist eines Kreditvertrages beträgt abhängig vom Zeitpunkt des Vertragsschlusses zwischen einem und drei Monaten. Bei Immobilienkrediten besteht zudem zehn Jahre nach der Auszahlung ein Sonderkündigungsrecht.
Oft fallen für eine Kündigung bzw. Ablöse aber hohe zusätzliche Kosten an. So kann die Bank bei vorzeitig gekündigten Verträgen eine Vorfälligkeitsentschädigung verlangen, die abhängig von der verbleibenden Restschuld ist. Durch diese sichert sich die Bank gegen die Zinseinbußen ab – denn die Zinsen fallen ja weg, wenn Sie den Kredit vorzeitig ablösen.
Prüfen Sie daher zunächst, ob Sie entsprechende Sonderzahlungen im Kreditvertrag vereinbart haben. Bei Immobilienverträgen zur Baufinanzierung wird häufig die Möglichkeit geboten, eine Sondertilgung von 10% der Kreditsumme pro Jahr vorzunehmen. Dadurch verringert sich die Restschuld des Kredits, es fallen über die Laufzeit des Kredits weniger Zinsen an und die Vorfälligkeitsentschädigung ist geringer.
Wenn Sie einen höheren Betrag vorzeitig tilgen wollen oder den gesamten Kredit vor Ende der Laufzeit ablösen wollen, wird eine Vorfälligkeitsentschädigung jedoch fast immer anfallen. Wer diese berechnet, bemerkt oftmals, dass sich eine Umschuldung oder das vorzeitige Ablösen des Kredits gar nicht lohnt – denn die Vorfälligkeitsentschädigung ist häufig so hoch angesetzt, dass es keinen finanziellen Vorteil bringt, den Kreditvertrag zu kündigen.
Praxis-Tipp:
Ob sich eine Umschuldung oder das vorzeitige Ablösen des Kredits lohnt, hängt von vielen Faktoren ab: Eine Rolle spielen Laufzeit, Zinshöhe und Zinsfestschreibung, Verwaltungskosten sowie die Möglichkeit von Sondertilgungen. Die einzige Variante, preiswert einen Immobilienkredit ohne Vorfälligkeitsentschädigung abzulösen und einen günstigeren Umschuldungskredit abzuschließen ist es oftmals, den Kreditvertrag zu widerrufen.
3. Lässt sich ein Kredit widerrufen?
Ja, denn es gibt das Widerrufsrecht, das viele nur vom Online Shopping kennen, auch bei Krediten wie Immobilienkreditverträgen. Geregelt ist dieses Widerrufsrecht in § 495 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch).
Unter welchen Voraussetzungen lassen sich Kredite widerrufen?
Wichtig ist, dass es sich um einen so genannten Verbraucherkreditvertrag handelt. Der Kreditvertrag muss
- bei einem Unternehmen (z. B. einer Bank) abgeschlossen worden sein.
- einem privaten Zweck dienen (z. B. Grundstückskauf, privater Hausbau).
Für Kleinkredite mit einem Nettodarlehensbetrag von unter 200 Euro, Krediten gegen Pfand sowie für günstige Förderdarlehen gilt das Widerrufsrecht hingegen nicht. Auch Unternehmenskredite fallen nicht unter das Widerrufsrecht.
Ein Verbraucherdarlehen lässt sich also widerrufen – aber wann genau und wie lange?
Wie lange kann ich einen Kredit widerrufen?
Die Widerrufsfrist für Verbraucherverträge beträgt 14 Tage. Innerhalb dieser Frist können Sie Ihren Kreditvertrag ohne Angabe von Gründen widerrufen. Die Frist beginnt erst zu laufen, wenn Sie vom Kreditgeber vollständig und korrekt über Ihr Widerrufsrecht informiert wurden.
Fehlen diese Pflichtangaben wie zum Beispiel eine vollständige Widerrufsbelehrung oder genaue Prozentsätze bei Verzugszinsen in den Darlehensunterlagen, verlängert sich die Widerrufsfrist – und das kann unter bestimmten Voraussetzungen ein „ewiges Widerrufsrecht“ nach sich ziehen.
Können Kreditverträge sogar noch Jahre später widerrufen werden?
Um diese Frage streiten sich die Banken schon seit dem Jahr 2010 in tausenden Gerichtsverfahren mit ihren Kunden. Der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) hat für die Gestaltung zur Berechnung der Widerrufsfrist bisher eine bankenfreundliche Position eingenommen.
In einem Urteil vom 28.03.2020 stärkte der Europäische Gerichtshof (EuGH) jedoch die Position von Verbrauchern. Er entschied: Ja, unter bestimmten Voraussetzungen lassen sich Verbraucherkreditverträge auch nach Jahre nach Abschluss widerrufen.
Der Grund: Geschätzt 80 bis 90 % der Kreditgeber wie Banken und Unternehmen haben beim Abschluss von Darlehensverträgen ab dem Jahr 2010 eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung verwendet. Diese führt dazu, dass Kunden ihre Darlehensverträge auch noch Jahre widerrufen können – und zwar ohne teure Abschlagszahlungen und Vorfälligkeitsregelungen.
Praxis-Tipp:
Viele Juristen sehen das EuGH-Urteil als „Hammer-Urteil“, das einen Widerruf von unzähligen Krediten ermöglicht. Klar ist aber auch: EuGH und BGH widersprechen sich in ihrer rechtlichen Einschätzung. Wie die deutschen Untergerichte entscheiden, ist nicht sicher abzuschätzen.
4. Urteile von BGH und EuGH: Was bedeutet das für mich?
Mittelpunkt der Auseinandersetzung um ewiges Widerrufsrecht sind mehrere Urteile des Bundesgerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofes. Grundsätzlich geht es um die Frage, ob sogenannte Kaskadenverweise – also der Verweis auf mehrere zusammenhängende Paragrafen und gesetzliche Regelungen in der Widerrufserklärung – zulässig sind oder nicht.
Hintergrund des Rechtsstreits
2012 nahm ein Verbraucher einen Kreditvertrag bei einer Kreisparkasse in Saarlouis auf. Die 14-tägige Widerrufsfrist sollte zu laufen beginnen, sobald der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben zum Abschluss des Kreditvertrags erhalten habe. Der Vertrag sprach jedoch nicht davon, welche Pflichtangaben gemeint sind.
Im Jahr 2016 wollte der Verbraucher den Kreditvertrag widerrufen. Die Sparkasse als Darlehensgeber war jedoch der Ansicht, die Frist sei abgelaufen, da der Verbraucher richtig belehrt wurde. Daraufhin klagte der Kreditnehmer beim Landgericht Saarbrücken. Dieses wendete sich an den EuGH mit der Frage, wie die Richtlinie über Verbraucherkreditverträge (RL 2008/48/EG) auszulegen ist.
Konkret ging es um folgende Formulierung:
„Widerrufsrecht: Der Darlehensnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z. B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z. B. Angaben zur Art des Darlehens, Angaben zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat ...".
Trumpf für Verbraucher? Die Entscheidung des EuGH
Der EuGH entschied am 26.03.2020 (Az. C-66/19): Die vom Kreditinstitut in der Widerrufsbelehrung genutzte Formulierung ist nicht klar und prägnant. Das muss sie aber sein, denn sonst bedeutet das eine klare Schwächung des Verbrauchers und seines Widerrufsrechts. Die Modalitäten des Kreditvertrags sind nur ordnungsgemäß, wenn der Verbraucher
- bestimmen kann, welche Verpflichtungen ihn treffen.
- weiß, ob der Vertrag alle erforderlichen gesetzlichen Vorgaben enthält.
- nachvollziehen kann, wann die Widerrufsfrist beginnt.
Der in der Widerrufsbelehrung verwendete „Kaskadenverweis“ hat jedoch zur Folge, dass er diese Punkte nicht nachvollziehen kann – denn um zu wissen, wann die Frist beginnt, muss er sich erst durch mehrere Gesetze durcharbeiten. Laut EuGH muss aber auf den ersten Blick erkennbar sein, wann die Frist für den Widerruf einsetzt. Ein Verweis auf eine nationale Vorschrift im Kreditvertrag, die selbst auf weitere Rechtsnormen des jeweiligen Mitgliedstaats verweist, sei nicht richtlinienkonform und somit nicht rechtswirksam.
Die Folge: Die Frist ist noch nicht abgelaufen – denn sie beginnt erst, wenn der Kreditnehmer über das Widerrufsrecht korrekt und schriftlich informiert wurde und er die vollständigen Kreditunterlagen in Schriftform erhalten hat.
Doch kein Widerrufsjoker? Die Entscheidung des BGH
Nur fünf Tage später – am 31.03.2020 – stellte sich der BGH gegen das Urteil des EuGH. Bereits in früheren Entscheidungen hatte der BGH eine tendenziell bankenfreundliche Position vertreten (Urteil vom 22.11.2016, Az. XI ZR 434/15).
Auch in den zwei jüngsten Entschlüssen halten die Richter des BGH an dieser Position fest (Az. XI ZR 581/18 und Az.: XI ZR 198/19).
Zusammengefasst ist der BGH der Ansicht: Nutzt eine Bank das gesetzliche Muster der Widerrufsbelehrung, kann sie davon ausgehen, dass dieses Muster rechtsgültig ist – und zwar auch dann, wenn sich später bestimmte Passagen als unzulässig herausstellen. Verbraucher können sich nicht auf ein ewiges Widerrufsrecht berufen, wenn die Bank das gesetzliche Muster zur Widerrufsbelehrung verwendet hat, ohne inhaltlich davon abgewichen zu sein.
Wichtig:
EuGH und BGH vertreten somit unterschiedliche Positionen zum Widerruf von Verbraucherdarlehen. Die rechtliche Situation ist unklar. Wie die deutschen Gerichte entscheiden, bleibt abzuwarten. Klar ist aber: Sobald die Bank vom gesetzlichen Muster der Widerrufsbelehrung abweicht, kann diese unwirksam sein – und Sie können den Kreditvertrag widerrufen.
Das ewige Widerrufsrecht kann für ab 2010 abgeschlossene Immobilienkreditverträge gelten. Haben Sie einen Immobiliendarlehensvertrag zwischen dem 01.09.2002 und dem 10.06.2010 unterschrieben, bei dem die Widerrufsbelehrung fehlerhaft war, ist das Widerrufsrecht hingegen bereits am 21.06.2010 erloschen.
Für alle anderen Verbraucherkredite (z. B. für Autofinanzierungen) kann ein längeres bzw. ewiges Widerrufsrecht bestehen, wenn in der Widerrufsbelehrung erforderliche Pflichtangaben fehlen.
Weitere Rechtsprechung zum Kreditwiderruf
Weitere Urteile, die im Zusammenhang mit dem Widerruf von Kreditverträgen ergangen sind:
- Stuttgart Az.: 6 O 332/13
- LG Hamburg Az.: 302 O 159/13
- OLG Brandenburg, Az.: 4 U 64/12
- LG Berlin Az.: 38 O 358/10
- OLG Köln Az.: 13 U 217/11
5. Was sollte ich als Kreditnehmer jetzt tun?
Wenn Sie in den Jahren ab 2010 einen Verbraucherkredit für ein Haus, Grundstück, eine Eigentumswohnung oder ein Auto aufgenommen haben, können Sie den Kredit womöglich widerrufen und dank des Widerrufsjokers viel Geld sparen:
- Suchen Sie Ihre Kreditunterlagen heraus und prüfen Sie, ob auch bei Ihnen eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung verwendet wurde.
- Wenn Sie dies nicht selbst beurteilen wollen oder können, rufen Sie die spezialisierten Anwälte der Kanzlei WBS für eine kostenlose Erstberatung an (Telefon: 0221 – 400 675 580) oder schicken Sie eine Anfrage per Mail an kreditwiderruf@wbs-law.net.
Ist die Widerrufsbelehrung fehlerhaft, können Sie den Kredit widerrufen. Oftmals geben die Banken nach, da sie nach dem EuGH-Urteil kein Interesse an einer hohen Anzahl von Prozessen haben und zu einem Vergleich bereit sind.
Wichtig ist aber:
Leichtfertig widerrufen sollten Sie Ihren Kredit nicht. Ist der Widerruf erfolgreich, müssen Sie anschließend Ihren alten Kredit ablösen bzw. umschulden. Sie benötigen dafür einen Umschuldungskredit, entweder bei Ihrer bisherigen Bank oder bei einem neuen Kreditgeber. Verbraucherschützer berichten, dass sich einige Banken weigern, Umschuldungskredite zu bewilligen, wenn sie dafür genutzt werden, einen widerrufenen Immobilienkredit abzulösen.
Bevor Sie den alten Kredit widerrufen, sollten Sie daher in jedem Fall ein verbindliches Angebot für einen Umschuldungskredit bei Ihrer oder einer anderen Bank vorliegen haben. Lassen Sie sich von spezialisierten Anwälten beraten. Diese können die Erfolgsaussichten eines Kreditwiderrufs in Ihrem Fall einschätzen.
6. FAQ: Häufige Fragen zum Widerruf von Kreditverträgen